Ein früher Nachmittag an einem Tag Mitte Oktober 2023: Unsere kleine Exkursion von Fridays for Future Augsburg ist in Langweid am Lech zusammen gekommen. Wir wollen uns den Lohwald, die Spuren der Rodung aus dem Vorjahr und die sogenannten Ersatzpflanzungen ansehen.
Als erstes erreichen wir die sogenannten Ausgleichsflächen westlich des Lohwaldes. Hier soll neuer Wald entstehen. Die Anpflanzungsversuche sehen noch recht jämmerlich aus.
Im Vordergrund sehen wir die jungen Setzlinge, dahinter bereits die Betonstützwand der Schlackenhalden des Stahlwerkes. Denn einen Sichtschutz bilden die sogenannten Ersatzpflanzungen noch lange nicht, falls sie es je tun werden. Der Spruch „Stahl + Recycling: Grundlage für Arbeitsplätze und Umweltschutz“ steht außen auf der Betonstützwand. Zustimmen können wir dem nicht. Erst recht sehen wir darin keinen Grund für die Rodung eines Bannwaldes. Stahl ist sehr energieintensiv, sowohl in der Produktion als auch im Recycling. Anstatt immer mehr Stahl zu produzieren, sollten vermehrt alternative Baustoffe zum Einsatz kommen.
Der Stromverbrauch der Lech-Stahlwerke ist ähnlich hoch wie der Stromverbrauch von Augsburg, mit 300.000 Einwohnern Bayerns drittgrößter Stadt. Ganz auf Stahl wird die Gesellschaft vermutlich nicht verzichten können. Aber selbst wenn man denn ein Werk bauen oder erweitern wollen würde, welches Stahl so ökologisch wie möglich produziert, so würde man es nicht in Südbayern tun. Denn Bayern hat im Winter eine Versorgungslücke bei Strom aus erneuerbaren Energien. Schuld sind der einseitige Fokus auf Solarenergie bei gleichzeitiger Blockade des Windkraftausbaus. Hinzu kommt die Blockade des Baus von Stromtrassen. Ursprünglich war geplant, die Stromtrasse Südostlink von Norddeutschland hier ins beschauliche Meitingen zu legen. Der Energiehunger von Stahlwerk und Augsburg werden bei den Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Nach einem Jahrzehnt der Verzögerungen sieht die neue Planung nun vor, dass die Stromtrasse Südostlink nach München verläuft. Auch das dauert noch Jahre. Effektiv wird das Stahlwerk also auf absehbare Zeit im Winter zu weiten Teilen mit Strom aus Gaskraftwerken betrieben.
Plötzlich fällt uns ein Laster ins Auge, der gerade Holz abtransportiert.
Der Holzlaster überrascht uns. Für diese Rodungssaison sind eigentlich keine weiteren Rodungen durch die Lech-Stahlwerke vorgesehen, geschweige denn ihnen überhaupt erlaubt. Schafft hier das Stahlwerk vielleicht schon wieder in einer Nacht- und Nebelaktion Tatsachen? Oder sind es Baumstämme aus dem letzten Jahr?
Wir nehmen die Suche nach Spuren von kürzlichen Fällarbeiten als weiteres Ziel unserer Exkursion auf. Erstmal wollen wir uns aber noch die Ersatzpflanzungen genau ansehen.
Auch aus der Nähe machen die Pflanzungen keinen gesunden Eindruck. Die wenigsten Pflanzen reichen uns bis zum Hals. Ungeschützt vor starkem Wind stehen sie auf den Feldern. Viele Setzlinge wirken gebeutelt und etwas krumm, vermutlich durch Stürme und längere Trockenphasen. In der Nähe des Feldweges waren die Pflanzen dazu noch staubig.
Eine Sache ist auf allen sogenannten Ausgleichsflächen, die wir an diesem Tag besuchen, allgegenwärtig: Der Lärm von Straßenverkehr, vor allem von der B2, die man in folgendem Bild im Hintergrund hinter einer sogenannten Ausgleichsfläche sieht.
Erst dachten wir, dass hier vielleicht ein Gewässer entstehen soll. Aber nein, es handelt sich um ein Reptilienhabitat.
Viel später entdecken wir noch eine neu bepflanzte Fläche, die in einem etwas fortgeschritteneren Zustand ist.
Allerdings ist es eine kleine Fläche, nicht viel mehr als eine etwas breitere Hecke zwischen einem Forstweg und der Kreisstraße A 29. Die Autos darauf sind auch im Bild noch zu erkennen. Als Lebensraum für Eichhörnchen und Fledermäuse können wir uns diese Fläche noch lange nicht vorstellen.
Als ein Jahr zuvor im Oktober 2022 die Rodungen des ersten Bauabschnittes begannen, waren all diese sogenannten Ausgleichsflächen noch weniger entwickelt. In diesem Zustand hätten die Rodungen eigentlich noch nicht beginnen dürfen.
Wir wollen die Ausgleichsflächen mit dem intakten Lohwald vergleichen. Wie durch ein großes Eingangstor empfängt uns der Wald.
Bienen bestäuben Wildblumen. Mitten am Tag sehen wir Reh und Hase. (Wir haben keine Fotos gemacht. Die Tiere waren flink auf den Beinen und wir wollten sie nicht nur für ein Foto weiter belästigen.)
Was wir entdecken sind junge Wäldabschnitte, ...
... sehr naturbelassene Waldabschnitte ...
... und Abschnitte von Nadelwald.
Beim Nadelwald machen wir uns Sorgen. Deutet das Schild mit der Aufschrift „Achtung: Gefahrenbereich“ auf eine baldige Fällung hin?
Andere Schilder weisen auf den besonderen ökologischen Wert des Waldes hin.
Zahlreiche Bäume sind mit einer Plakette „Biotopbaum: Fällen verboten!“ versehen.
Es war eine Ausnahmegenehmigung für die Fällung von achtzehn Biotopbäumen wie diesen, die im Oktober 2022 den Lech-Stahlwerken den Weg für die Rodung von etwa sechs Hektar des Lohwaldes frei machte.
Auch heute liegen im Wald noch größere Mengen älteres Totholz, möglicherweise Überreste der Rodung aus dem Vorjahr.
Eigentlich hätten die Rodungen des ersten Bauabschnittes erst im Oktober 2023 beginnen dürfen. Erst dann wären die ersten Ausgleichsflächen in einem Zustand gewesen, der vertragliche Voraussetzung für die Fällung ist. Denn der Vertrag mit der Gemeinde Meitingen sah vor, dass erst nach erfolgreichem Abschluss gewisser artenschutzrechtlicher Sicherungsmaßnahmen mit der Rodung begonnen werden soll. Doch die Gemeinde Meitingen, auf derem Gemeindefläche sich das Stahlwerk befindet, akzeptierte den Bruch dieser Voraussetzung. Was noch fehlte war die Sondergenehmigung für die Fällung der Biotopbäume auf dem Areal. Doch die Regierung von Schwaben hatte diese Sondergenehmigung gegen eine Bearbeitungsgebühr von 250 € und trotz einer laufenden Normenkontrollklage gegen den Bebauungsplan innerhalb von unter zwei Wochen ausgestellt. Die klagenden Parteien wurden nicht informiert. Sie konnten keinen einstweiligen Rechtsschutz zum Erhalt des Waldes beantragen. In der Folge waren die Regierung von Schwaben und ihr damaliger Regierungspräsident Dr. Erwin Lohner heftig kritisiert worden. So sah es im Oktober 2022 unmittelbar nach der Rodung dort aus:
Wir sehen uns an, wie der gerodete Abschnitt heute (im Oktober 2023) aussieht. Der Zugang zum Rodungsabschnitt ist durch einen Bauzaun versperrt.
Links sehen wir die gerodete Fläche, rechts ein von zukünftiger Rodung bedrohtes Stück Lohwald. Der Unterschied an biologischer Vielfalt und an Qualität als Lebensraum für Tiere ist frappierend.
Seit nun mehr einem Jahr liegt die Freifläche, für deren Entstehung fast sechs Hektar Wald und achtzehn besonders geschützte Biotopbäume gefällt wurden, brach. Es ist ein trostloser Anblick.
Ein Jahr lag die Fläche brach. Das weckt erhebliche Zweifel an den „zwingenden Gründen des überwiegend öffentlichen Interesses“, welches die Begründung der Genehmigung zur Fällung der Biotopbäume im Oktober 2022 war.
Wir wollen wissen, wie es auf der gerodeten Fläche vor der Rodung aussah. Über den BUND Naturschutz in Bayern e.V. bekommen wir schließlich als Antwort auf unsere Frage folgende Fotos weitergeleitet.
Trotz der Nähe zum Stahlwerk gab es hier einen gesunden Mischwald ...
... mit eindrucksvollen Bäumen.
Zurück ins Jahr 2023: Nicht der ganze verbliebene Wald ist gesund. Nachdem wir den Wald betreten haben, finden wir sehr schnell Orte kürzlicher Rodungen. Sturmschäden wird man in einem naturbelassenen Wald allenfalls in der unmittelbaren Nähe der Wege angehen. Dafür sind die neu gerodeten Flächen zu groß.
Handelt es sich hier um Maßnahmen gegen Käferbefall? Oder schaffen die Lech-Stahlwerke hier erneut Tatsachen, indem sie schon mal den Wald aushöhlen und so dessen ökologischen Wert reduzieren?
Die meisten gefällten Bäume sind Nadelbäume. Es sind aber unterschiedliche Nadelbaumarten.
Neu gepflanzte Bäume werden Jahre brauchen, um die Größe der gefällten Bäume zu erreichen. Wie viele Jahre etwa? Das kann man versuchen hier an den Baumringen abzuzählen.
Ohne ihre Nachbarn werden es diese Bäume deutlich schwerer haben, einen Sturm zu überstehen.
Auch entdecken wir zahlreiche geringelte Bäume.
Ringeln tötet den Baum. Im Fall eines Nadelbaums macht ihn das zum willkommenen Lebensraum für Borkenkäfer, die sich dort relativ leicht vermehren können. Uns erschien es, als wären es vor ausschließlich Nadelbäume gewesen, die wir in geringeltem Zustand antrafen. Was hat es damit auf sich?
Im Zweifel für den Angeklagten, in diesem Fall die Lech-Stahlwerke. Das ist ein Konzept, dass Augsburgs Justiz gegenüber Klimagerechtigkeitsaktivist*innen noch zu lernen hat. Wir beschließen eine professionelle Einordnung unserer Funde abzuwarten, bevor wir Alarm schlagen.
Auf den frisch gerodeten Flächen blieben auch Laubbäume mit Nistkästen stehen.
Bevor wir uns auf den Rückweg machen, gibt es noch weitere sogenannte Ausgleichsflächen, die wir besichtigen wollen. Doch dafür müssen wir nochmal aufs Fahrrad steigen und ein ganzes Stückchen fahren. (Siehe blauer Pfeil im nachfolgenden Lageplan.) Denn diese sogenannten Ausgleichsflächen befinden sich auf der anderen Seite der Bahnlinie. Lediglich ein kleiner Tunnel einige hundert Meter südlich dieser Flächen, führt unter der Bahnlinie hindurch. Wie größere Tiere später mal zwischen den beiden zukünftigen Waldgebieten wandern können, ist fraglich. Bis zu 200 km/h fahren die Züge in diesem (aktuell noch) zweigleisigen Streckenabschnitt. Die sogenannten Ausgleichsflächen westlich der Bahnstrecke können schwerlich noch als zukünftiger Teil des Lohwaldes angesehen werden.
Kartenmaterial von https://www.openstreetmap.org/Der Bau eines möglichen dritten Gleises schaffte es schon mal als „vordringlicher Bedarf“ in den Bundesverkehrswegeplan 2030. Ob man dafür das Stahlwerk östlich der Bahnstrecke oder die neuen sogenannten Ausgleichsflächen westlich der Bahnstrecke verkleinern wird?
Angekommen sehen wir auch wieder ein Feld von kleinen Setzlingen und dahinter die B2. Über die Fläche hört man selbst aus 300 Metern Entfernung noch den Lärm der Bundesstraße. Es ist nicht vergleichbar mit der Ruhe des Waldes.
Mehr als 200 Fotos machen wir auf unserer Exkursion. Zwischenzeitlich bricht mehrfach ein kurzer Regenschauer los. Im Schutz des Lohwaldes stört uns das kaum. Während wir auf den sogenannten Ausgleichsflächen unterwegs sind, werden wir dabei schnell pitschnass. In diesem Zustand begeben wir uns zum Bahnhof Langweid (Lech), um den nächsten Zug nach Augsburg zu erwischen. Obwohl der Lohwald offiziell zu Meitingen und nicht zu Langweid am Lech gehört, leben die meisten Einwohner*innen von Langweid am Lech – wie auch die von Biberbach – näher am Lohwald und dem Werk der Lech-Stahlwerke als die meisten Einwohner*innen von Meitingen.
In Gedanken an das, was verloren ist, aber auch all das, was noch gerettet werden kann, treten wir den Heimweg an.